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Jeden Tag auf´s Neue

Tue das, wovor Du Dich fürchtest und das Ende Deiner Angst ist gewiß...!

An manchen Tagen laufe ich durch die Gegend, als wäre mir ein Sack Zement auf den Kopf gefallen. Sonst voller Tatendrang und ausdauernd bis zum Umfallen, drehe ich Dinge von links nach rechts und von rechts nach links, ohne etwas rechtes zustande zu bringen.

Schuld daran bin ich bzw. das, was man allgemein als Leiche im Keller bezeichnet. Im Klartext heißt das: es gibt mindestens eine Sache, die dringend erledigt werden müßte, vor der ich mich aber mit tausend vermeintlich guten Gründen immer wieder erfolgreich drücke!

Erfolgreich? Der gelbe Zettel mit der Bitte um Rückruf von Herrn xy scheint mich seit Stunden unentwegt anzustieren, obwohl ich schon diverse Unterlagen darüber gestapelt habe. Ich sehe den Zettel nicht mehr, aber ich weiß, dass er da ist, und alleine dieses Wissen vermiest mir Tag und Stimmung und blockiert meinen Kopf für andere Dinge.

So kann das nicht weitergehen. Also zwinge ich mich mühsam zu Aktivitäten, die zwar weder wichtig noch dringend sind, mich aber absolut davon abhalten Herrn xy anzurufen.

In meiner verzweifelten Bemühung, das Unabwendliche abzuwenden, fange ich an meinen Schreibtisch aufzuräumen, die längst fälligen Belege zu sortieren und den übervollen Abfalleimer nach draußen zu tragen.

Befriedigt registriere ich die peinliche Ordnung und Sauberkeit in meinem Büro, in dem jetzt allerdings kein Stäubchen mehr den Blick auf diesen verdammten Rückrufzettel verdecken könnte.

Ich nehme mir vor zur Tat zu schreiten, und drücke entschlossen die auf dem Zettel notierte Rufnummer. Mitten im Wählton fällt mir ein, dass ich meiner Mutter noch nicht zum letzten Muttertag gratuliert habe (wir haben Dezember), die Blumenzwiebeln im Keller darauf warten eingepflanzt zu werden (wir haben 4 Grad unter Null) und die Fransen meines blauen Vorlegers dringend gekämmt werden müssen (er hat nur noch zwei).

Am Abend falle ich ob der oben genannten Aktivitäten völlig erschlagen ins Bett. Statt Schäfchen zum Einschlafen zähle ich kleine, gelbe Zettel....

Dann graut der Morgen, oder besser gesagt - mir vor ihm: obwohl zwei Stockwerke zwischen dem Rückruf bei Herrn xy und mir liegen, kann ich die Rufnummer deutlich vor mir sehen.

Nach zwei Tagen Putzwahn und durchwachter Nacht male ich mir am Schreibtisch in düstersten Farben aus, wie das Gespräch mit ihm verlaufen wird. Aber wie sehr meine Phantasie auch mit mir durchgeht (und meine Phantasie kann die wahrsten Horrorfilme produzieren) - am Ende habe ich immer noch den Kopf auf beiden Schultern.

Selbst wenn also der schlimmste aller möglichen Fälle eintritt, steht mir im Höchstfall ein unangenehmes Gespräch bevor - und das ist ja wohl allemal besser, als weiterhin mit einem Zementsack in der Magengrube herumzulaufen...

Ich gebe mir einen Ruck und wähle die verdammte Nummer auf dem kleinen gelben Zettel. Am anderen Ende meldet sich Herr xy. Er wollte mir nur den Termin für Freitag 09.00 Uhr bestätigen, wünscht mir einen schönen Tag und freut sich auf unser Wiedersehen....

Unendlich erleichtert stürze ich mich auf die Erledigung all´ der anderen Dinge, die ich so lange hinausgezögert habe. Dafür versinkt mein Schreibtisch wieder im allbekannten Chaos, die Blumenzwiebeln schlagen im Keller Wurzeln und meine Mutter wird wohl erst im nächsten Mai Ihre Glückwünsche zum Muttertag bekommen.

Es sei denn ... ;-)))